Wer perfekt Gehölze schneiden möchte, muß den Begriff ‚Saftwaage‘ kennen. Denn damit kann man den künftigen Wuchs genau vorhersagen. Gartenarbeit ist auch angewandte Pflanzenphysik und dieses Prinzip ist schon die halbe Miete für einen grünen Daumen.
Gärtnern ist teilweise auch ein bisschen Hellsehen. Das hat aber wenig mit Zauberei zu tun, sondern ist das Resultat aus dem Verständnis, wie eine Pflanze funktioniert. Deshalb ist es unerlässlich den Begriff der Saftwaage zu kennen!
Den Beweis für den folgenden Exkurs in die Pflanzenphysik liefert das Foto. Es ist eine Avocadopflanze als Extrembeispiel, denn diese wollen sich partout nicht von alleine verzweigen. Sie wurde bereits 1x geschnitten. Doch man sieht, dass der oberste Austrieb am stärksten ausgebildet ist, der zweite noch ein bisschen, und darunter passiert fast gar nichts mehr. Warum ist das so, und warum ist diese Erkenntnis für einen guten Gärtner absolut unerlässlich?
Im Normalfall haben wir es in mitteleuropäischen Gärten immer mit Pflanzen zu tun, die unten aus einer Wurzel, darüber aus Stamm oder Stengel, und ganz oben aus dem Blattwerk bestehen.
Grundsätzlich darf man dabei feststellen, dass die Wurzel dabei das Herz der Pflanze ist. Sie versorgt den überirdischen Teil mit Wasser und Nährstoffen aus dem Boden, während die obere Hälfte dazu dient diese Nährstoffe durch das Sonnenlicht für die Pflanze nutzbar zu machen. Das bedeutet Wachstum… und Wachstum bedeutet sich gegen andere Pflanzen zu behaupten. Diese Prozesse basieren jedoch auf den physikalischen Prinzipien der Verdunstung, Osmose und der Kapillarwirkung.
Für die Pflanze selbst bedeutet das, dass dort wo die Verdunstung am größten ist (nämlich ganz oben, wo das meiste Licht hinkommt) auch das meiste Wasser verdunstet wird. Dadurch steigt die Salzkonzentration in den Zellen der Blätter und wird ohne jegliches Zutun der Pflanze automatisch ausgeglichen.
Es ist, wie bereits gesagt, das physikalisch unumgängliche Prinzip der Osmose, dass das aufgenommene Wasser aus den Wurzeln nach oben saugt. Zusätzlich wird dieser Effekt durch die Kapillarwirkung unterstützt. Mikrofeine Adern in Stamm und Stengeln ziehen Flüssigkeiten von selbst in die Höhe. Das kann man mit einem Stück Klopapier, das man nur mit dem unteren Rand in Wasser hält, leicht nachvollziehen. Schon nach Sekunden hat sich die Feuchtigkeit von allein nach oben gezogen. Außerdem gibt es ja noch den Luftdruck, der auch in Kopfhöhe etwas geringer ist, als an den Füßen. Allen diesen Prinzipien ist eine Pflanze unterworfen und reagiert dementsprechend.
Der sichtbare Beweis
Mit diesem Wissen erklärt sich aber auch ein weiteres Phänomen, das auf den ersten Blick ziemlich bescheuert klingt. Wenn man einen Baum, Strauch, Busch oder Rose nicht ungefähr auf die gleiche Höhe schneidet, ist es der oberste Ast, der am besten mit allem versorgt wird. Deshalb wächst er auch am besten und wird im Vergleich zum Rest der Pflanze übermächtig. Im schlimmsten Fall wird er abbrechen, weil er zu lang oder zu schwer wird – mit Sicherheit wird die Pflanze aber asymmetrisch und unästhetisch.
Warum wir das hier erzählen ist schnell gesagt. Nun wissen Sie automatisch wie Sie jedwede Pflanze schneiden müssen, damit sie eine gleichmäßige Form erhält. Und nun wissen Sie grundsätzlich auch, wie man kümmerliche Triebe fördert. Nämlich indem man die starken Triebe tiefer als die Kümmerlinge runterschneidet !
Selbstverständlich können Pflanzen auch von unten her zuerst austreiben. Sind sie aber erst mal belaubt, ist der oberste Trieb voll im Licht und beschattet die anderen Äste. Das Prinzip ist also immer das gleiche und nennt sich Saftwaage. Unbedingt merken, denn es ist Voraussetzung um die Pflanzen in seinem Garten zu verstehen!